Besuch bei den Eingeborenen


Brassband

Nach der Landung in Trizonesien empfing uns graues Nieselwetter. Die Eingeborenen von Trizonesien [von Karl Berbuer, mehr dazu hier] begegnen diesem Missstand durch bunte Kleidung. Grün-rot-blau karierte Hosen und gelbe Halstücher bei dem Herrn gleich rechts neben mir, die rot-weiße Frau ihm gegenüber mit deutlich billigem Lippenstift knallrot geschminkt, eine Reihe weiter vorne eine scharfe Krankenschwester im deutlich zu kurzen Mini, neben ihr ein Kuhhirte (aka Cowboy) mit durchtrainiertem Körper.

Verkleidet?

Die bunte Gesellschaft kam dem ärztlichen Rat nach mindestens zwei Litern Getränk schon am frühen Morgen entgegen. Es kursierten: Eine 1,5-Liter-Volvic-Flasche, in der kein Volvic mehr war (Ei, dat is Ouzo!), eine 0,75-Liter-Apfelkorn-Flasche eines bekannten Markenherstellers, eine ebenso große Flasche mit pinkfarbigem Inhalt, der das Etikett abhanden gekommen war. Vom Geruch und der Farbe her war es aber ein Derivat der Marke Schlüpferstürmer. Bier in der hier zu Lande gängigen Variante („Kölsch“) wurde in kleineren Flaschen in mitgebrachten Rucksäcken deponiert. Eine Flasche, im 45-Grad-Winkel in der rechten Hand gehalten, gehörte zur Grundausstattung der Eingeborenen, die das Getränk in regelmäßigen Abständen ansetzten und es offenbar als vorzüglichen Durstlöscher achteten.

Das Ziel der aus dem Umland der trizonesischen Hauptstadt zum Elfter-im-Elften-um-Elf-Uhr-Elf-Fest anreisenden Ureinwohner war der dortige Heumarkt. Dort in irgendeiner Form nüchtern anzukommen scheint den Hiesigen verpönt, und so gaben sich vor allem die Jüngeren alt-bewährten Rezepturen folgend der Druck-Dröhnung hin. Ältere kommentierten dies, sich der eigenen Vergangenheit erinnernd, schon mal mit einem gemächlichem „un in einer Stund liejen se in ner Äck!“, lachten aber darüber. Die männlichen Eingeborenen befanden sich offenbar komplett in der Balz, vom stylish gegeelten Haar über affiges Werfen kleiner bunter Papierschnipsel in die (ebenfalls aufgemotzten) Haare der Mitreisenden bis zu affektiertem pfauenhaften Gehabe ein stimmiges Bild.

Auf in den Kampf

Köln, auch „Kölle“ oder „Colonia“ genannt, war also das Ziel. Am Hauptbahnhof endete der Zug zwar nicht, wurde aber leer. Alles ergoss sich da raus und die Treppen zum Dom hoch. Zwei weibliche Wesen, offfenbar nicht von hier, nutzen die moderne Technologie des drahtlosen Telefonierens: „Ja, wir sind hier … weiß nicht wo … zwischen Bahnhof und so ’ner großen Kirche!“ Wenig später sollten sie, beim Absingen des Liedes „Wir lasse den Dom in Kölle“ kulturhistorisch dazu lernen – nicht ohne verwirrt zu werden ob der Tatsache, dass das vor ihnen stehende Getränk ebenfalls „Dom“ hieß, und sie fragten sich, ob sie das nun in Kölle lassen sollten?
Vielen blieb, was die Antwort auf diese Frage anbelangt, nichts anderes übrig. Die Polizei, so konnte man tagsdrauf hören, habe 450 Wildpinkler festgenommen. Die einzige frage, die sich dem unvoreingenommenen Beobachter dabei stellt, ist: Wieso nur so wenig? Ein ebenfalls mitgehörtes Gespräch zweier mobil telefonierenden Jungs (also eigentlich nur eines, der andere war ja weiter weg): „Ja, wir sind hier, wo wir immer gepisst haben, weißt du doch!“ Offensichtlich hatte das andere Ende der Leitung nicht recht verstanden, so dass er mehrfach wiederholte: „Da wo wir immer gepisst haben!“ Das war die Stelle, wo meine Begleiterin etwas von „hätten vielleicht doch besser Gummistiefel angezogen…“ murmelte und fortan nur noch in gehörigem Abstand von Mauern, Bäumen, Zäunen den Weg durch die an die 50.000 Harnblasenfüller, die sich hier Narren nennen, zu bahnen.
Die Sonne hatte sich mittlerweile auch am Himmel gezeigt, was den unten Feiernden aber egal war, denn sie waren alle, wie sie hier sagen, „jut drauf“. Das schon mehrfach erwähnte Getränk „Kölsch“, normalerweise in übergroßen Reagenzgläsern serviert, floss an diesem Tag entweder aus Plastikbechern oder aus Flaschen in die Kehlen, um in der Niere zu einer Flüssigkeit verarbeitet zu werden, die dem Ausgangsprodukt durchaus ähnelt. Nur dass Kölsch-Ausschenker nicht als Wildkölscher verhaftet werden.
Die unachtsam zu Boden geworfenen Flaschen haben den zahlreichen als Obdachlose verkleideten Einsammlern den Umsatz des Jahres gebracht: Riesenalditüten voll sammelten und schleppten sie Leergut davon, um sie ins Pfandhaus zu bringen. (Ich höre gerade, dass mir die Eingeborenen da die Begriffe falsch beigebracht haben: Sie bekommen zwar Pfand auf die leeren Flaschen, aber nicht im Pfandhaus, sondern am Kiosk. Meine Informanten betonen auch, dass dort in der Regel in Naturalien ausgezahlt würde, mithin in gefüllten Flaschen, die dann leer wieder zurückgegeben und mit gefüllten…)
Für zünftige Musik, die vom so genannten „Schunkelwalzer“ bis zu „flotten Rhythmen“ reichte, waren die Feiernden dankbar. Eine Kapelle war aus den benachbarten Niederlanden gekommen, sie blechbliesen und paukentrommelten sehr anregend. Einige sehr hübsche Zuhörerinnen suchten sich gut spielende Musikenten aus, um sie zu küssen. „Bütz mich!“ riefen sie den Männern zu, was in der Sprache der Eingeborenen ebenfalls eine Aufforderung zum Küssen ist. Etliche Mädels sind offensichtlich vom Falschen geküsst worden, oder noch schlimmer, der von ihnen avisierte Jüngling hat sich seinerseits zu einer Bussi-Aktion bei einer anderen Willigen hinreißen lassen – jedenfalls gab es am Wegesrand einige weinende und viele wütende Single-Girls, die aber in der Regel nach Sonnenuntergang Tröster fanden in Form von Kölsch oder Kölschen Jungs oder beidem.

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