Wenn einer eine Reise tut…


Die dümmste Erfindung der Tourismus-Industrie ist, Flieger um sechs Uhr morgens in den Urlaub starten zu lassen. Denn in Zeiten paranoier Sicherheits-Check-Ins, in denen in jeder Zahnpastatube Sprengstoff und in jedem Haarspray weiß-Bin-Laden-was vermutet wird, muss man mindestens eine Stunde zuvor am Flughafen sein. Also um drei, halb vier aufstehen. Und das nennt sich dann erster Urlaubstag!

Um sechs Minuten nach sechs hätten wir theoretisch bereits sechs Minuten in der Luft sein können, aber der Kapitän des Flugzeugs erklärt gerade sehr nett und informativ, dass es so genannte „slots“ gibt, in denen man losfliegen kann, wenn denn bis zum Ziel alles rechnerisch und theoretisch glatt geht. Der Himmel über Zürich, so der Kapitän, hänge aber offensichtlich so voller Flieger, dass zu unser berechneten Zürichüberfliegzeit nichts mehr geht, weswegen unsereins eben warten müsse, bis auf dem Weg nach Teneriffa Süd über Zürich noch Platz für den Dresdner Flieger sei. Voraussichtliche Abfahrtzeit zur Startbahn: Sechs Uhr einundzwanzig.

Nach der Kapitänsrede geht ein mittelalter Herr mit Vollbart durch den Gang nach vorn und bleibt an der Toilette stehen. Wahrscheinlich will er austreten. Weit gefehlt: er wollte raustreten, und zwar komplett. Wenig später meldet sich wieder „Ihr Kapitän“ mit den Worten, dass es da vorne ein wenig Unruhe gegeben habe, weil sich ein Passagier überlegt habe, gar nicht mehr mitfliegen zu wollen. Und weil Koffer nicht alleine fliegen dürfen, müsse nun sein Koffer aus dem Gepäckbauch des Flugzeugs geholt werden. Das könne dauern. Die voraussichtliche Abflugzeit errechne sich aus den Züricher Slotvorgaben und der Dresdner Gepäcksuchdauer, wahrscheinlich sechs Uhr einundvierzig.

Natürlich hatte der Herr sein Gepäck früh aufgegeben, sein Koffer konnte als einer der letzten identifiziert werden. Nun müssten nur noch die ganzen anderen Gepäckstücke wieder eingeladen werden, und dann könne man auch schon starten.

Wider Erwarten kam nichts mehr dazwischen, so dass wir das nieselnasskalte Dresden schwungvoll mit pünktlichen 41 Minuten Verspätung verließen. Die Standardübung der Stewardessen – die uns übrigens mit roten Lackhandschühchen begrüßten, tres chic! – sind die Sicherheitshinweise zu Beginn des Fluges, mit klugen Ratschlägen für den unwahrscheinlichen Fall eines Druckabfalls. Diese wertvollen Hinweise kommen bei Air Berlin mittlerweile vom Band und über Bord-TV, was ihnen den letzten Reiz nimmt. So sah man die Damen mit dem Traumberuf erstmals wieder, als sie Kopfhörer verkaufen wollten. Wir benötigten angesichts des Bordprogramms keine und warten auf ein Wiedersehen, wenn sie das Frühstück brächten, das bei der rot-weißen Airline noch im Flugpreis inbegriffen ist. Den unschönen aber zutreffenden Namen „Saftschubsen“ werden die Flugbegleiterinnen nicht gerne hören. Zumindest könnten sie protestierend anmerken, dass sie auch Kaffee und Tee ausschenken. Aber Wagen mit Saft und gerne auch Kaffe und Tee schubsen sie dennoch gerne durch den Gang. Unsere Mädels trugen zur Uniform mit pobetonenden Hosen weiter oben ihr langes Haar zum Zopf geflochten, was sehr hübsche Flugbewegungen ergab, wenn sie zuerst die links und dann die rechts sitzenden Passagiere nach deren Wünschen befragten. Hier wäre vielleicht ein Tonband auch sehr hilfreich, denn wenn man Reihe für Reihe „ein Brötchen oder zwei?“ fragen muss, kann das schon zu Fusseln vorm Mund führen. Auch die Restkonversation verläuft eher monoton. Beispielsweise kommt nach einem Passagierwunsch nach Kaffee immer „Zucker und Milch?“ und nach dem Tomatensaftbegehr stets „Pfeffer und Salz?“ Was Ordentliches mit den immer um mein Wohl bemühten Hübschen zu reden verbietet sich: sie haben zu tun und mir würde das eh nur wieder als notorisches Flirten ausgelegt.

Flirten im Flieger verbietet sich aber. Erstens sitzt neben mir die Meine und zweitens steige ich am Ziel aus, während die Saftessen zurück fliegen. Sie haben sich dennoch bemüht, alles geduldig zu ertragen, so dass ich mich beim Hinausgehen artig bedanke: „Danke!“ – „Gerne!“

Auch so eine antwort, über die man besser nicht nachdenkt: sagte man nicht früher, vor der Rechtschreibreform und der Großen Koalition einfach „Bitte!“, wenn jemand zuvor „Danke!“ gesagt hatte? Jajaja – früher. Heute sagt man „Gerne!“ und meint wohl, dass man alles sehr gerne getan habe, was den Dankenden zu seiner Äußerung gebracht habe…

Teneriffa Süd ist der Vorhof zur Hölle, die sich dann wenige Kilometer weiter in Form von Urlaubssilos (jedes Zimmer mit Blick aufs Meer!) und uniform beschirmten Stränden nach Art der Ölsardine aufs Unangenehmste erleben lässt. Der Weg zum Hafen, der sich harmonisch in dieses Ensemble moderner Lebensart einfügt, lässt sich je nach gusto mit Taxi oder Bus plus Fußweg zurück legen. Theoretisch fährt die 487 auch zum Hafen, aber nie dann, wenn man selbst an der Haltestelle wartet. Auch die verheißungsvolle Aussicht auf einen Hafenzubringerbus nach Plan entpuppt sich als Seifenblase, wenn man den Plan ohne Berücksichtigung der hier herrschenden Ortszeit liest und sich die Uhr am Handy nicht automatisch auf die neue Umgebung einstellt.“Dos biletos a puerto, per farvor!“ radebreche ich. „Centro!“ antwortet der Busfahrer, sehr wohl ahnend, dass längere Antworten mir sowieso nicht helfen.

Das Zentrum von Los Cristianos ist ein bezaubernder Busbahnhof, von dem aus man bequem Koffer rollend zum Hafen laufen kann. Erst geht’s über die Straße an einer Deutschen Bank vorbei, dann links runter durch die Haupteinkaufsmeile mit Restaurants, einer kleinen Kirche mit übernetztem Kirchplatz und Kaugummi auf den Sitzbänken (Teneriffische Bank). So eine suchte sich Sylke für unsere Brotzeit aus, was zu nicht druckreifen Flüchen und einer versauten Jeans führte. Hätten wir doch nur auf jene um uns besorgten Mitreisenden gehört, die zwei Minuten nach uns an eben jenem Platz kofferrollend vorbei marschierten: „Sie wollten doch zum Hafen?! Dann müssen Sie weiter gehen!“ rieten sie uns und konnten nur schwer verstehen, dass wir exakt hier eine kleine Rast einlegen wollten.

Am Hafeneingang, den wir mit Blick auf die Fährabfahrzeiten immer noch zu früh erreichten, drubbeln sich noch einmal Restaurants, die man nicht wirklich besuchen sollte, wenn man inseltypisch essen will. Wenig später dann endlich der Verkaufskiosk der Fähre! Doch, schade schade schade: er hatte geschlossen und die Obrigkeit verkündete per Schild, „Dass das Ticket Verkauf von November 15 in unserem Büro im Meer Station machen wird.“ Oha! Das ist kess, Ticketverkauf im Meer! Aber, ein wenig Restzweifel bleiben bei deutschen Texten im Ausland (naja, zunehmend auch im Inland…) ja immer, weswegen ich mir das spanische Original durchlas und dort herausfand, dass man zum Ticketkauf gar nicht schwimmen muss: in der „Estación marítima“ – dem Fährbüro, neudeutsch sales office – könne man sie quasi trockenen Fußes käuflich erwerben…

Der Garajonay-Expres ist eine der drei Möglichkeiten, von Insel zu Insel zu schippern. Die anderen sind langsamer und heißen Armas oder bei gleicher Geschwindigkeit teurer – dann heißen sie Olsen Express. Außerdem bietet der kleine Garajonay-Expres als einziger die Möglichkeit, auf la Gomera neben der Hauptstadt San Sebastián auch Playa de Santiago und das Valle Gran Rey anzufahren. Eigentlich bevorzugen wir ja die langsamen Fähren von Armas, weil man da draußen stehen und schon mal Leute beobachten kann – immerhin ein Hauptgrund, überhaupt Urlaub zu machen, oder? Aber Armas fuhr nicht an diesem Samstag – und wenn sie gefahren wären, hätten wir Scheißwetter gehabt, denn es nieselte gleich nach der Abfahrt von Teneriffas Los Cristianos und regnete bei der Ankunft in San Sebastián de la Gomera.

Na toll.

Leicht unfroh bestiegen wir also nach Verlassen der Fähre unser Mietauto und fuhren ins gomerische Hochland. Wer la Gomera nicht kennt: das ist so ein runder 369,76 Quadratkilometer großer Flecken, der eigentlich nur die Spitze eines großen Berges im Ozean ist. Also steigt er von der Küste recht flott bergan auf rund 1000 Meter Niveau. Einzelne Berge sind natürlich höher – der höchste ist der Garajonay mit 1.487 Metern. Ende der Vorlesung, weiter im Auto. Wir fanden die wabernden Nebelwolken nicht aufregend und genossen die Fahrt durch den Lorbeerwald kein bisschen. Auch philosophische Gesprächsfetzen über die Tatsache, dass der Wald auch Nebelwald oder Regenwald genannt wird, gingen im profanen Fluchen unter. Toller Urlaub, wirklich!

Kurz vor Erreichen des Ziels muss man durch zwei Tunnel fahren. Normalerweise heißt es ja, dass am Ende eines solchen Licht sei – doch dieses Mal war das leicht anders: unten am Ende des Valle glitzerte es! Und als wir die Unterkunft direkt am Meer bezogen hatten, erlebten wir den ersten Sonnenuntergang…


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