Unterwegs im Osten


Das Wetter auf La Gomera spielt zumindest im November gerne verrückt. Man kann sich auf nichts verlassen – weder auf das, was am Vortag war noch auf das, was man morgens beim Blick aus dem Fenster sieht. Also war es gestern wunderbar und heute früh vielleicht auch beim Blick aufs Meer – und dann siehst du hoch in die Berge und denkst: hm, wo sind sie denn, die Berge? Denn du siehst nichts außer Nebel, Wolken, Grau.

Was da oft hilft, ist eine Fahrt hoch hinein in die Suppe, um dort mal zu sehen, wo es heller ist. Erfolg hat man meistens beim Blick Richtung Süden – doch da wandert’s sich nicht immer so nett (Ausnahmen bestätigen die Regel). Manchmal sieht’s auch im eigentlich typisch verregneten Norden gut aus, und manchmal treibt einen die Suche nach Sonne in den Osten der Insel. Ein Wanderparadies ist das da allerdings nicht, aber von der Carretera del Norte – der Verbindungsstraße der Inselhauptstadt San Sebastian mit Hermigua im Norden – geht eine schnucklige kleine Wanderung aus. Wie immer gut ausgeschildert trifft man hier auf die Route PR LG 1.

Ich sag’s gleich: Das eigentliche Ziel, die weißen Höhlen, haben wir aus den unterschiedlichsten Gründen nicht erreicht, aber wenn der Weg das Ziel ist, sind wir permanent angekommen. Das geht gleich am Anfang los: man läuft ein wenig bergauf, bewältigt quasi noch ohne Japsen die ersten der 250 zu erklimmenden Höhenmeter – und sieht die Roques! Diese monumentalen Felsen sehen einfach nur gut aus, und wenn es sich gerade so ergibt, dass am bewölkten Himmel ein Sonnenloch den Strahl wie einen Scheinwerfer auf den Roque de Agando wirft, dann ist das für die Glückshormone der korrekte Augenblick, sich auszuschütten. Passenderweise hat es bergauf ja gerne Serpentinen, so dass man mal hierhin und mal dorthin blickt. Bei dieser Wanderung ergibt es sich, dass man abwechselnd auf den kuscheligen Hafen von San Sebastian und auf die Felsbrocken im Inselinnern blickt. Das roquet!

Der schnellste Weg zu den weißen Höhlen führt zweifelsohne nicht da lang, wo wir gewandert sind. denn wir folgten den verheißungsvollen Versprechungen unseres Wanderführers und drehten, einmal oben am Kamm der Altoz de Uteza angekommen, eine liebliche Ehrenrunde. Bevor wir die hier aber antreten, müssen die Schönheiten der Höhe noch schnell gerühmt werden. Man sieht: alles! Also auch El Teide, drüben auf Teneriffa. Leider hüllt sich der Teide in Wolken, aber das kennt man ja. Rechts am Kamm vorbei geschaut erblickt man San Sebastian. Ehrlich gesagt sieht der Ort nur von weitem richtig gut aus, sehr viel näher muss man gar nicht ran, denn das Detail ist längst nicht so reizvoll wie der Gesamteindruck von hier oben aus 695 Metern Höhe (plus ca. 165 cm Kamerahöhe…)! Insgesamt aber ist das Panorama beeindruckend. Das schweifende Auge bleibt – mal wieder – an einem Fels hängen, der wie ein Riesen-Gesicht aussieht mit zwei Augen und einem runden Kullermund. Fantasy-Film-Ausstatter brauchen eigentlich gar keine Phantasie, sie müssten nur Urlaub an den richtigen Stellen machen und sich von der Natur inspirieren lassen!

Der empfohlene Umweg über die Häuser von Enchereda ist von der Kategorie „schön, aber“. Gar liebliche dornige Pflanzen haben die Macht über den Weg dorthin übernommen, was zu reizvollen Kratzern eigentlich überall führt. Man pirscht durchs Gehei und wird dann auch noch mit einem kleinen Regenschauer belohnt. Das hätte doch im Wanderführer stehen müssen! Abgesehen davon läuft es sich da ganz nett, und bei Sonne betrachtet liegt die Ziegenalm Enchereda sicher auch ganz reizvoll am Hügel. Wir stapften aber etwas lustlos mit Regenjacken und Kapuzen auf der Zubringerstraße zu der Häuseransammlung entlang Richtung La Guerode. Einen Vorteil hattte das bescheidene Wetter: Wir waren allein dort unterwegs – und es roch gut! Der Weg führt nämlich durch einen Kiefernwald, der bei Regen doppelt lecker duftet als es sowieso schon seine Aufgabe ist.

Irgendwann hörte das Gedröppel auch wieder auf, aber einen Anblick gönnte uns der aufhörende Regen noch: Ein wanderndes Paar kam uns bei La Guerode vauf dem Bergkamm entgegen – mit aufgespanntem Regenschirm. Very British! dachte ich, bis sie uns wenig später bei der Begegnung auf deutsch ansprachen, da schon ohne Schirm, weil der Himmel sich mittlerweile wieder eingebläut hatte.

Wir also rauf wo sie gerade runter kamen. Eine Felsnase gibt den Rastplatz auf vortrefflichste Weise, danach wird’s ein bissl enger und luftiger und – ach, was soll ich sagen: der Nichtschwindelfreie in mir bekam wieder Oberwasser und verlangsamte das Tempo. Slowfoot Uli in Verbindung mit Fotografieren wegen bezaubernder Farben an den Felsen und dramatischen Blicken nach hier oder dort sind eine ungünstige Kombination, um Wanderzeiten einzuhalten. Außerdem haben wir den Weg nicht gefunden, der laut Wanderführer „links etwas undeutlich und stark vermüllt“ abzweigt, und obendrein dräute bereits wieder eine Wolkenfront, so dass wir beschlossen umzukehren. Zur Belohnung trafen wir die Außerirdischen wieder, die schon Vallehermoso heimgeleuchtet hatten. Dieses Mal strahlten sie La Laja und Los Chejelipes an, sind aber offensichtlich wieder unentschlossen weiter gezogen, denn in den Zeitungen stand nichts von ihrem Besuch zu lesen.