Unterwegs bei Vallehermoso und am Roque Cano


Wir hatten uns für die erste Wanderung etwas Leichtes ausgesucht: nur 600 Meter Höhenunterschied. Selbstredend erst rauf, dann runter. Beides allerdings im lockeren Winkel, also (bis auf ganz wenige Meter) weder die Pumpe zerreißend noch in die Waden beißend. Vallehermoso-Wanderungen beginnen am Dorfplatz des Ortes – was den Vorteil hat, dass sie da auch enden. Wo da der Vorteil liegt? Nun, an der Plaza de la Constitución gibt es Bars und Restaurants… Wie genau die Wanderung geht, beschreiben die Wolfspergers als Tour 40 in ihrem Rother Wanderführer. Hier nur die Quintessenz und die Dinge, die in einem allgemein gehaltenen Wanderführer, weil nicht verbindlich, keinen Niederschlag finden. Zum einen also der Hinweis, dass das zwar eine gemütliche Tour ist, aber durchaus nicht unanstrengend, wenn man nicht im Training ist. Immer geht es nur hoch, und wenn da nicht die versöhnlich traumhaften Blicke ins Tal wären, könnte man gleich zu Beginn verzweifeln. Aber es gibt sie eben massig, diese Blicke. Fixpunkt ist immer wieder der Roque Cano. Roque, das wissen wir mittlerweile, heißen hier (wie überall im Spanischen) die Felsen – dieser ist ein besonders schöner alter Schlot. Aber warum Cano? Das bedeutet weißhaarig. Dabei ist der Berg doch hübsch gelb, also irgendwie blond. Die Antwort ist ganz einfach: Morgens pflegen weiße Wolken den Roque zu umhüllen, was ihm das Graukappenaussehen verleiht. Im Laufe des Tages machen sich die Wolken dann aus dem Staub, so dass unsereins das so richtig gar nicht mitbekommt.

Wir waren ja, weil das Wetter verkehrte Welt spielte und ganz im Gegensatz zu üblichen gomerischen Gepflogenheiten im Valle Gran Rey das Grauen gab und bei Vallehermoso die Sunshine-Nummer abzog, frohen Mutes losgestapft. Richtung Regenwald sah es immer nach Regen aus – aber der sollte ja rechts liegen bleiben bei unserer Wanderung. Aber ausgerechnet am diffizilsten Stück, einem Camino, „der sich über einen steilen Bergrücken nach El Tión hinaufwindet“ (so steht’s im Rother), windet nicht nur der Weg: es brist deutlich auf, ein sicheres Zeichen für drohendes Unheil. Das ist dann auch blitzschnell da: dicke fette Regentropfen! Sylke sieht es positiv: Endlich einmal kann sie die Regenjacke aus dem Rucksack holen und hat nicht das Gefühl, das Teil immer umsonst mitgeschleppt zu haben. Schade schade, so kann man ja gar nicht richtig die spannenden Blicke des links wie rechts steil abfallenden Weges genießen! Das Gefriemel mit Kamera, Jacke und Rucksack auf dem schmalen Weg war natürlich was für meine nicht schwindelfreien Nerven! Aber ich muss sagen, es hat sich gelohnt, denn nachdem alles wieder in Ordnung war – also die Kamera stat draußen im Rucksack und die Jacke statt im Rucksack an mir (sage jetzt keiner: am alten Sack!) – nachdem also die Regenwandergrundordnung hergestellt war und ich ungefähr sieben Schritte gesenkten Hauptes vorwärts gestiefelt war, hörte die ungewünschte Bewässerungsaktion auf. Da kann man nichts machen, und so wirklich böse war ich ja auch nicht – zumal ein Haus am Ende des Pfades erreicht war, das erstens offensichtlich gerade nicht bewohnt war und zweitens eine Bank neben der Tür hatte: ein idealer Rastplatz!

Das schnell wieder freundlicher werdende Wetter erlaubte wirklich atemberaubende Blicke. Eigentlich haben die Inselbewohner es trefflich auf den Punkt gebracht: Vallehermoso, das schöne Tal. Satt sehen kann man sich da sowieso nicht, also laufen wir weiter. Ein als steil bechriebener Weg ist es wirklich, aber er ist traumhaft kurz. Danach beginnt der gemütliche Teil, zumal es von nun an nur noch ganz sanft bis auf 750 Meter hoch und dann meist bergab geht. Für einen Besuch des Restaurants Roque Blanco ist es leider zu spät, wir kommen ein andermal! Dafür haben wir, wenn auch nur schemenhaft, den schönsten Berg von La Gomera gesehen: El Teide. Der steht zwar eigentlich auf Teneriffa, aber ist von Gomera aus immer wieder ein toller Blickfang!

El Camino, der Pfad. Auf Gomera sind alle alten Wege Caminos. Wir nutzen jetzt einen, der uns mit aahh und oohhh und offenem Mund einen ganz traumhaften Abstieg nach Vallehermoso beschert. Ausgeschildert ist er als GR 132 „por el camino del Roque Cano“, und er steht auf der Liste der schönsten Wege der Insel, die Sylke und ich während dieser Wanderung spontan begonnen haben. Sattes Grün im Nahbereich, rötlichbraune Berge in der Ferne, ein munteres Spiel der Wolken (ja, wenn sie weit weg sind, mag ich sie!) und dramatische Durchbruchversuche der untergehenden Sonne. Als ob Außerirdische mit riesigen Raumschiffen und gigantischen Scheinwerfern die Gegend absuchten! Wahrscheinlich waren es Außerirdische, denn das gleiche Phänomen sollten wir noch an einigen anderen Stellen erleben!

Und dann der Roque Cano! Wenn der Teide der schönste Berg von Gomera ist, der nicht auf der Insel steht, dann ist das der schönste auf der Insel! Erst lugt nur die spitze hervor, dann sieht man mehr – und immer in diesem grandiosen Abendlicht, das den sowieso rötlichen Felsen so wundersam einlullt, während Vallehermoso nach und nach im Schatten der Berge verdunkelt.

An Höhe verlierend nähert man sich dem Roque und seinen Nachbarfelsen. Die sehen übrigens sehr lustig aus: Wenn man genau hinsieht, erkennt man zwei Gesichter mit tief eingefallenen Augen, die aber keineswegs totenkopfartig erschröcklich aussehen, sondern eher verschmitzt. Wenig später sahen uns aber nicht nur die vier Felsaugen an, sondern mindestens zwanzig Schafsaugen. Der klassische Augenblick, bei dem sich Tier und Mensch gegenüberstehen und man nicht wirklich weiß, wer sich hier mehr vor dem anderen fürchtet. Nicht dass ich Angst vor Schafen habe, im Gegenteil: als Käse liebe ich sie sogar, gegebenenfalls auch in einem deftigen Eintopf. Aber auf einem beschränkt breiten Weg mit Fels zur einen und Schlucht zur anderen Seite…

Die Schafe mögen ähnlich gedacht haben. Nein, natürlich nicht die Sache mit dem Käse und dem Eintopf, da sind Schafe einfach anders gestrickt. Aber so wie sie erst uns und dann sich ansahen, haben sie sicher auch die Möglichkeiten durchgecheckt, die sich ergeben. Mehrheitlich entschieden sie sich für die Flucht nach vorn – bis auf zwei, die ein wenig die Anhöhe raufpolterten, um dann festzustellen, dass sie keine Bergziegen sind und nicht so recht Halt fanden. Also rutschten sie wieder runter auf den Weg, so dass wir nun eingekesselt waren. Ich versuchte mit den beiden Schafen zu reden, die hinter uns waren. Irgendwie guckten sie nervös, so als ob sie zurück zu den anderen wollten. Und die anderen sahen sich auch um in einer nicht gerade beruhigenden Weise. Sie guckten verärgert, um das mal so zu sagen wie wir das empfanden. Mein Problem ist natürlich, dass ich beim Spanischunterricht nicht aufgepasst habe und überhaupt kein schafisch spreche. Außerdem sind die Inselbewohner ja bekannt dafür, dass sie keine Fremdsprachen beherrschen. Ich also mit Händen und Füßen und die Schafe mit doofen Blicken und nervösem Geblöke: eine traumhafte Konversation! Aber irgendwie klappte es doch mit der Verständigung und die beiden polterten an uns vorbei zu den anderen.

Eine Weile trottete die Meute dann noch vor uns her, wobei das Schlusslicht sich immer Mühe gab, uns böse anzusehen. Jaja, wir verstanden und hielten Abstand. Als es dann – für Schafe, zumindest, das ist ja alles relativ – irgendwann endlich eine Möglichkeit gab, sich rechts in die Büsche zu schlagen, taten die Schafe das. Unter den wachsamen Augen des Bosses stolperten die anderen bergab, wir sagten brav „tschüss und auf Wiedersehen“ und wanderten dann wieder alleine weiter. Nach einer eleganten kurve ging es direkt vorbei am Fuß des Weißhäuptigen, was sehr beindruckend war, denn das ist schon ein mächtiges Stück Fels, was da in den Abendhimmel ragt.

Den Anblick sollte man auf sich wirken lassen, dann die letzten Meter bergab zur Plaza sind von unaufgeregterSchlichtheit…