04.10.02

Bei uns in Europa.

Wenn schon Tag der Deutschen zu Zeiten Deutsch-Amerikanischer Angespanntheit, dann auch ein passendes Stück Europa von Kurt Tucholsky (respektive seinem dichtenden Pseudonym) - veröffentlicht auf den Tag genau vor 75 Jahren.

Bei uns in Europa
von Theobald Tiger

Ihr schickt uns aus dem Lande von Ford
einen ziemlich miesen Menschenexport:
überschwemmt sind Paris und Griechenland
von euerm mäßigen Mittelstand.
Diese Reisenden, laut und prahlerisch,
legen geistig die Füße auf den Tisch,
fallen lästig an allen Orten;
und jeder zweite Satz beginnt mit den Worten:
»Bei uns in Amerika...«

Bei euch in Amerika gibts zweierlei Rechte
(für Arme und Reiche) - gibt es Gute und Schlechte;
gibt es solche und solche: Lewis und Mencken,
und Dollardiener, die in Dollars denken.
Bei euch in Amerika gibt es Republikaner
und richtende blutige Puritaner.
Ihr habt Kraft, Jugend und Silberlinge -
aber ihr seid nicht das Maß aller Dinge,
bei euch in Amerika.

Bei uns in Europa ist das Weib
keine Haremsfrau ohne Unterleib -
bei uns in Europa ist die schwarze Haut
kein Aussatz, dem man Extra-Bahnwagen baut;
bei uns in Europa kann wer ohne Geld sein
und dennoch, dennoch auf der Welt sein -
bei uns in Europa kann man bestehn,
ohne in die Sonntags-Schule zu gehn,
weil fast keiner so am Altare steht:
eine plärrende nüchterne Realität -
wie bei euch in Amerika.

Das wissen natürlich bei euch die Guten
ganz genau. Der Rest hat von Blasen und Tuten
keine Ahnung. Hört nur den Schmeichelchor
seiner news-papers; kommt sich so erstklassig vor...
Hör nicht hin, Arbeitsmann. Laß sie ziehn,
die Eitelkeiten der Bourgeoisien.
Pässe, Fahnen und Paraden
das sind lächerliche Zementfassaden...
Denn die wahre Grenze, zwischen Drohnen und Fronen,
läuft quer hindurch durch alle Nationen -
bei euch in Amerika.
Wie bei uns in Europa.

(Die Weltbühne, 04.10.1927, Nr. 40, S. 530)

Posted by Ulrich at 04.10.02 11:05 | TrackBack
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Ja bitte?!









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